Der Mensch begann sein Gebet im Wald. Seine ersten Kathedralen waren Kronendome. Jetzt, da die Menschheit im Eimer ist, kehren Sehnsüchtige aus der gehobenen Mittelklasse zu retardierenden Andachtsritualen zurück unter Bäume, die schon vierzig Meter aufragten, als Shakespeare seine Stücke schrieb. Sie folgen Trapper*innen auf Trampelpfaden durch das letzte echte Unterholz der Welt. Davon erzählt Michael Christie in seinem klimaneutral produzierten Klimaroman „Das Flüstern der Bäume“.
2038 führt der Wald als besonders markante Erscheinungsform des Lebens eine Schattenexistenz. Das „große Welken“ dezimierte den globalen Bestand bis auf einen Wurmfortsatz seiner ursprünglichen Größe. Hinter dem Euphemismus steckt biologische Kriegsführung. Die vom Menschen enervierte Natur geht in den Overkill-Modus über. Biblisch dimensioniert setzt sie Pilze, Insekten, Feuer und Dürre ein.
Empfindungsloser*innen in der Baumkathedrale von Greenwood
Die Botanikerin Jacinda Greenwood* führt solvente Spinner*innern, die als Spitzenkräfte der Wirtschaft täglich an der Vernichtung der grünen Lebensbasis beteiligt sind, in die „Baumkathedrale von Greenwood“. Da überlebt unter extrem erschwerten Bedingungen einer der weltweit letzten Primärwälder. Im Fluidum der ökologischen Klimaxgesellschaft erreichen die Pilger*innen hohe Grade der esoterischen Verzückung. Sie umarmen Bäume und lecken lecker Borke. Für sie ist Mother Nature eine verwüstete Puffvettel, die ihnen Wahrnehmungsorgasmen in der Preisklasse hochgestochener Besinnungsaufsätze verschaffen soll.
Michael Christie, „Das Flüstern der Bäume“, Roman, auf Deutsch von Stephan Kleiner, Penguin Verlag, 560 Seiten, 22,-
Manche Pilger*innen scheitern am Sockel der Erregung. Kein Veitstanz rockt sich. Die bedauernswerten Empfindungsloser*innen müssen ihre Höhepunkte vortäuschen.
Wie erbärmlich ist das denn.
*Der Familienname verweist auf ein Imperium. Jacinda, genannt Jake, ist aber so dunkel & arm wie die indonesischen Zimmermädchen und salvadorianischen Hausmeister. Dem geborenen Gesinde erscheint die Waldläuferin Jake als Verkörperung „eines kaum vorstellbaren Niedergangs“.
Jake macht sich Sorgen um zwei - von milder Bräune gezeichnete - Tannen. So geht die Geschichte los.