Was auch sonst man sich in die Tasche lügen möchte, die Verflüchtigung der Leidenschaft ist der einzige Grund für eine offene Ehe. Noch braucht man Sex, um sich in Gang zu halten; jemanden, den man geil finden kann und der Partner, dieser dämliche Hund, steht für diese Aufgabe nicht mehr zur Verfügung. Das ist der Ausgangspunkt in Annette Mingels‘ Roman „Dieses entsetzliche Glück“.
Annette Mingels, „Dieses entsetzliche Glück“, Roman, Penguin Verlag, 347 Seiten, 20,-
Natürlich ergeben sich einschlägige Kalamitäten aus einem fragwürdigen Ehebegriff, also aus einer fatalen Verkomplizierung, die dann zur Zeit- und Nervenfresserin wird, wenn man über die Overflow-Phase hinaus mehr anstrebt als eine Versorgungsgemeinschaft. Im konkreten Fall ist Robert bereits fünfzig, ein alter weißer Mann wie er im Buch steht. Das heißt, er hinkt allem hinterher mit einer Begriffsstutzigkeit, die er sich längst nicht mehr leisten kann.
Dem Arrangement voran geht eine Fremdgehzeit, in der allerdings nur Amy so frei ist bei einem Liebhaber zu suchen, was sie zuhause nicht mehr findet. In der koinzidierenden Krise stellt sich als besonders verheerend heraus, dass Robert von dem institutionalisierten Seitensprung bis zur Beichte nichts mitbekommt.
Man muss dem Mann alles sagen und erklären. Amy erspart ihm nichts. Sie schläft mit Liam, der mit „der behäbigen Figur eines ehemaligen Ringers“ antritt. Ich denke bei der Beschreibung an eine Lächerlichkeit im Comickostüm, die mit Zack & Wumm-Sprechblasen eine Leerstelle besetzt, während Robert ehrlich genug ist, in der sehnsüchtigen Selbstbeschränkung sein Maß zu erkennen. Er ist so solvent, sein Elend nicht in eine große Klammer zu ziehen und moralische Überlegenheit zu beanspruchen. Vielmehr begnügt er sich mit Fitnesstraining. Immer besser passt sein Erscheinungsbild in den Studiospiegeln zum Ideal von einem bürgerlichen Best-Ager.