Der erotisch eingerostete Halbgreis Robert covert seine Unzulänglichkeiten mit den Attributen einer auskömmlichen Existenz. Ich nenne ihn gern Suburbia-Bob, so kommt er mir vor. In Vorstadtzügen lunst er jungen Frauen in die Ausschnitte. Er pirscht mit dem vollen Portemonnaie im Anschlag.
Sie hat drei Kinder. Jedes verweist auf einen anderen Vater. Aber was heißt schon Vater. Samenspender passt besser, oder genetischer Bausteinlieferant. Und nur darauf kommt es gewiss nicht an. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Ihn prägt der Alltag mehr als die zwei, drei Erhebungen, etwa aus dem Umstand Enkelin eines Erstbesteigers oder Weltumseglers oder mongolischen Khans oder mathematischen Genies zu sein.
Was begründet schon eine Ausnahmestellung?
In den kleinstädtischen Milieus ihrer Umgebung erscheint Julies Lebensentwurf deplatziert. Das kommt dem alten Räuber Robert entgegen. Er fischt im Trüben, weil es für mehr nicht reicht. Der Erzähleinfall hat das Zeug zu einer erotischen Vorlage. Ein Halbgreis hilft einer Schönheit in Not aus der Bredouille.
Annette Mingels, „Dieses entsetzliche Glück“, Roman, Penguin Verlag, 347 Seiten, 20,-
Wäre Julie nicht in Schwierigkeiten, hätte Robert keine Chance.
„Ihre Schönheit, dachte Robert, musste sie irgendwann selbst überrascht haben, und wahrscheinlich würde sie in einigen Jahren erkennen, dass sie ihr weniger gebracht hatte als erhofft.“
Auf der Flucht vor einem schlagenden Liebhaber wirft sich Julie in die weit geöffneten Arme des in die Zuschauerrolle abgedrängten Roberts. Sie lässt sich nun von dem galanten, auf zurückhaltende Weise moussierenden Suburbia-Bob effektiv verehren. Robert ist ein Connaisseur für schmale Gelegenheiten. In der Pizzeria bestellt er den Lachs auf dem Spinatbett, und Julia möchte das Gleiche wie er. Obwohl sie quasi halb so alt, also mehr oder weniger so alt wie Roberts Tochter ist, verstehen „sie einander vollständig“.
Ich verstehe das auch. Sie braucht den Sugar-Daddy, und er braucht die Aufmerksamkeit einer hübschen Person, um sich wieder flott zu machen. Ach, wäre das alles nur nicht so schäbig.
Robert führt eine offene Ehe mit Amy, ohne jede Nutzung der Freizügigkeit bis zum Momentum des zusteigenden Lesers. Der Erzählzug nimmt langsam Fahrt auf. Mir erscheint es so, als böte sich vor den Fenstern eine Küstenlandschaft an. Die Horizontlinie trennt zwei Sorten Blau.
Robert will Julie als Prise seines häuslichen Arrangements einstreichen. Sie kommt ihm wehrlos genug vor; so dass er glaubt, es mit ihr aufnehmen zu können. Julies soziale Textur mag fadenscheinig sein. Doch hat auch sie noch Pfeile im Köcher.
„Beauty is a trap“, sagen Philosoph*innen. Ich stimme nur halb zu. Vor allem ist Schönheit eine Belastung, da sie schwindet.
Noch am Restauranttisch unterzeichnet Robert seine Kapitulationserklärung à la ich zahle zwar alles, beanspruche aber nichts. Routiniert übernimmt Julie den erotisch eingerosteten Bekannten.
Was auch sonst man sich in die Tasche lügen möchte, die Verflüchtigung der Leidenschaft ist der einzige Grund für eine offene Ehe. Noch braucht man Sex, um sich in Gang zu halten; jemanden, den man geil finden kann und der Partner, dieser dämliche Hund, steht für diese Aufgabe nicht mehr zur Verfügung. Das ist der Ausgangspunkt in Annette Mingels‘ Roman „Dieses entsetzliche Glück“.
Natürlich ergeben sich einschlägige Kalamitäten aus einem fragwürdigen Ehebegriff, also aus einer fatalen Verkomplizierung, die dann zur Zeit- und Nervenfresserin wird, wenn man über die Overflow-Phase hinaus mehr anstrebt als eine Versorgungsgemeinschaft. Im konkreten Fall ist Robert bereits fünfzig, ein alter weißer Mann wie er im Buch steht. Das heißt, er hinkt allem hinterher mit einer Begriffsstutzigkeit, die er sich längst nicht mehr leisten kann.
Dem Arrangement voran geht eine Fremdgehzeit, in der allerdings nur Amy so frei ist bei einem Liebhaber zu suchen, was sie zuhause nicht mehr findet. In der koinzidierenden Krise stellt sich als besonders verheerend heraus, dass Robert von dem institutionalisierten Seitensprung bis zur Beichte nichts mitbekommt.
Man muss dem Mann alles sagen und erklären. Amy erspart ihm nichts. Sie schläft mit Liam, der mit „der behäbigen Figur eines ehemaligen Ringers“ antritt. Ich denke bei der Beschreibung an eine Lächerlichkeit im Comickostüm, die mit Zack & Wumm-Sprechblasen eine Leerstelle besetzt, während Robert ehrlich genug ist, in der sehnsüchtigen Selbstbeschränkung sein Maß zu erkennen. Er ist so solvent, sein Elend nicht in eine große Klammer zu ziehen und moralische Überlegenheit zu beanspruchen. Vielmehr begnügt er sich mit Fitnesstraining. Immer besser passt sein Erscheinungsbild in den Studiospiegeln zum Ideal von einem bürgerlichen Best-Ager.