Durch diesen währenden Bezug auf eine alte Tradition befindet sich die Fastnacht in der prädestinierten Position, Nährboden rechtskonservativer und völkischer Entwicklungen zu sein. In der Zeit des Hitlerfaschismus gab es eine ungleichmäße Gleichschaltung des Faschings, die in München besonders erfolgreich wurde, in Mainz jedoch noch 1937 kritische Kommentare zu hören waren. Der stets postulierte Widerstand des Kölner Karnevals ist jedoch Produkt einer Legendenbildung. Der Historiker Carl Dietmar verweist auf die bis heute andauernde Leugnung der Zeit im Faschismus und dekonstruierte die „Narrenrevolte“ von 1935 als rein organisatorische Maßnahme. Inhaltlich jedoch waren sie durch und durch faschistisch. „So wurden die bereits entrechteten Juden in den Umzügen und auch in Büttenreden verhöhnt und verspottet“, so Dietmar. Der fehlende grundsätzliche Widerstand des Karnevals liegt in der Sache selbst, denn die gesellschaftliche Funktion ließ keine andere Möglichkeit zu. In dieser Hinsicht liegt eine soziologische Wesensverwandtschaft zwischen der faschistischen Massenbewegung und dem tradierten Karneval zugrunde. Der Mythos der aus dem Mittelalter übernommenen „närrischen Neckerei“ gegen den herrschenden Stand wurde unlängst widerlegt und ist bis heute paradoxe Selbstbeschreibung.
Offenkundiger wird die Auswahl der Verkleidung der selbsternannten Närr*innen. In eurozentristischer Herangehensweise werden jedes Jahr in unterschiedlicher Intensität rassistische, sexistische, transfeindliche und ableistische Merkmale rezipiert und bedient. Gerade zu klassisch ist hierbei das „Blackfacing“, bei der weiße Männer und Frauen in die „Rolle“ eines afrikanischen Menschen schlüpfen, häufig gepaart mit der rassistischer „Afrofrisur“. Doch auch die indigenen Völker Amerikas gehören zum Standardrepertoire der weißen Fastnacht, bei der besonders die weibliche Rolle einen sexistischen Unterton erfährt: indigene Frauen“kostüme“ sind besonders lasziv und leicht bekleidet, wobei eine dominante Sexualisierung der Frau* betont wird. Frauen* generell erfahren nicht nur eine sexistische Verdinglichung, sondern auch eine Enthumanisierung, wenn Männer die Rolle der Frau* einnehmen, und sich heterosexistisch wie eine „Frau“ kleiden. Wie der Student*innenrat der Universität Leipzig in einem Referat über „Rassismus, Sexismus, Transfeindlichkeit und kulturelle Aneignung im Faschismus“ 2016 schreibt, erfüllen besonders Männer, die in Variationen als „Frau“ gehen, mehrere diskriminierende Elemente. Neben dem misogynen Faktor ist ein transfeindlicher Subtext vorhanden, bei der die „Verkleidung“ als strukturelle Machtergreifung zusätzlich gewertet werden muss. Die im Altertum zelebrierte „Gleichheit“ in der „närrischen Zeit“ war schon damals eine patriarchal zentrierte, die bis heute anhält. Diese offenkundigen Verdinglichungen und Enthumanisierungen von Lebensformen, Völker und Lebensweisen, die dem heterosexistischen, eurozentristischen Diskurs widersprechen, sind zentral in der vermeintlichen Neuordnung der deutschen Fastnacht.
Die fünfte Jahreszeit ist das Konglomerat gesellschaftlicher Widersprüche und ihrer Auswirkungen gleichermaßen. Die ihr inhärenten diskriminierenden Faktoren stehen dabei zentral in der inszenierten Selbstbehauptung und fungieren als entintellektualisierte Kritik, die sich jedoch ihrer selbst verweigert. Rassistische, antisemitische und klassistische Strukturen sind dabei existentiell und scheuen sich nicht vor der Behauptung, positiv veranlagt zu funktionieren. Das ewige Mantra, dies wäre alles schon so gewesen, noch vor der eigenen Zeit, straft dem dialektischem Prozess einer jeden gesellschaftlichen Entwicklung Lüge und Heuchelei. Die kolonialisierte Aneignung und der eurozentristische Blick rezipiert dabei all jene unterdrückten Schichten, die schon dem Wesen nach Opfer der kapitalistischen Gesellschaftsform sind. Vertreter*innen von Sinti und Roma, aber auch islamistische Terrorist*innen werden aus dem internationalen Kontext gerissen und der eigenen Überheblichkeit untergeordnet, um so eine vorgespielte Kritik zu ermöglichen. Ehrlicherweise müsste es um die Anklage an den eigenen Wandel gehen, jedwede Anpassung, Selbstkritik und materialistische Entwicklung akzeptieren zu müssen. Doch die Fastnacht kann nur dann den Rassismus, kolonialistische Aneignung und Sexismus abschweifen, wenn die Gesellschaft selbst sich jener entledigt. Dafür ist ein grundsätzlicher Wandel vonnöten, der bei ausbleibendem Erfolg allerdings selbst die Barbarei der bürgerlichen Klasse entwickeln wird. Der aus dem privaten Fernsehen bekannte Lieferservice für Karnevalsprodukte „Karneval Universe“ bietet zur passender Stunde auch schon mal eine Adolf-Hitler-Maske an. Da es der gesellschaftliche Rechtsruck nicht anders will, scheint es für den kapitalistischen Mehrwert unausweichlich, das dunkle Erbe der Fastnacht zu verdinglichen.