Stefan Zweig sieht im Judentum „Ferment und Bindung aller Nationen“. Das formuliert er 1917 in einer informellen Mitteilung, niedergedrückt von der Stupidität aller Kriegspropaganda. Stefan Litt überliefert eine Schätzung, nach der Zweig rund 25 000 Briefe und Postkarten geschrieben hat. Der Editor rechnet die Post in besonderer Weise zum Werk. Er wählte 120 Korrespondenzexponate an 43 Adressaten aus. „An erster Stelle wurden solche Briefe berücksichtigt, die ausführliche Passagen über verschiedene Aspekte und Probleme des Judentums enthalten.“
Confessionelle Schwierigkeiten
Der erste von Stefan Litt edierte Brief datiert auf den 29. März 1900. Stefan Zweig wendet sich an Karl-Emil Franzos. Er nennt den Angeschriebenen Meister und gibt auch im Weiteren seiner Hochachtung Ausdruck. Der Künstler als junger Mann verspricht, die Muskeln seiner Kontakte spielen zu lassen. Er streicht feuilletonistische Verbindungen heraus. Zumal dreht sich die Spindel der Korrespondenz um - unter dem Titel „Die Juden von Barnow“ zusammengefasste - Ghettonovellen.
Stefan Zweig, Briefe zum Judentum, herausgegeben von Stefan Litt, Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 24,-
Der junge Zweig stimmt die Epistel auf den Ton der jubelnden Zustimmung. Darunter könnte sich ein leiser Dissens verbergen, dem der Autor es nicht erlaubt, sich bemerkbar zu machen.
In einem anderen Zusammenhang memoriert er die „confessionellen Schwierigkeiten“ eines Redakteurs mit einer Geschichte, die ihm Zweig angeboten hatte. Die confessionellen Schwierigkeiten flossen in die Begründung einer Ablehnung, die der Debütant bemerkenswert ernstnimmt. Als Veteran muss man sich das erst einmal wieder klar machen, wie bedeutend einem publikationshungrigen Greenhorn das Dahingesagte eines Bestimmers erscheint ... dieser Quark eines jeden Tages.
Zweig kommt dem „verehrten Meister“ Karl-Emil Franzos mit Gedichten. Er zeigt sich engagiert in eigener Sache. Da will sich einer durchsetzen. Sein Verhältnis zum Judentum klärt er plakativ. Wieder sind es die vielen indirekten Einwände, die den Leser auch noch über hundert Jahre später begreifen lassen, wie Zweig zu brechen fürchtet unter den Lasten der Verwahrung gegen alle möglichen Vorurteile.
„Absolut treu dem Judentum habe ich von Jahr zu Jahr eine stärkere Abneigung, es logisch nur zu decretieren, alle Bücher, die es erklären wollen (Vom Judentum z.B. sind mir nur widerwärtig), ich verstehe es nur als Gefühlstatsache, als formlose, grenzenlose und unabgrenzbare: ich spüre, dass wir jeder damit etwas anderes meinen und jeder nur das, was er davon ist. Deshalb nur deshalb möchte ich dies Thema auch nicht streifen …“
Stefan Zweig (1881–1942) war ein Akteur der Walter Benjamin-, Franz Kafka- und Gershom Scholem-Kohorte. Er gehörte zu den skeptischen Söhnen arriviert-assimilierter Gründerväter. Wohlstand wies ihnen einen Weg; Antisemitismus einen anderen. Zunächst ahnten sie mehr als sie verstanden, wie vergeblich und deshalb fatal der altvordere Anpassungsfuror war. Ihre Sicherheiten erwiesen sich als Irrtümer, die der Holocaust aufklärte.
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Judentum und Dichtung. Ein Tonfall des 19. Jahrhunderts klingt in diesem Verhältnis an. So hat man über die Aussichten in einem jüdisch-christlichen Abendland geredet, unter den Vorzeichen der Assimilation – erfasst und angehoben von der Aufklärung, deren Sonne allen scheinen sollte. Das Unbehagen an der Assimilation war schon ein Merkmal des Fin de Siècle. Während die Patriarchen noch ihre Zigarren mit den Flammen der Chanukka Kerzen in Brand setzten, ihre Kaiser Wilhelm Bärte wichsten und sich angekommen wähnten im Deutschen oder Habsburger Reich als Deutsche oder Österreicher jüdischen Glaubens, ahnten ihre Töchter und Söhne ein Scheitern des Projekts der jüdischen Selbstaufgabe. Sie wurden Zionisten und Kommunisten.
Stefan Zweig sieht im Judentum „Ferment und Bindung aller Nationen“. Das formuliert er 1917 in einer informellen Mitteilung, niedergedrückt von der Stupidität aller Kriegspropaganda. Stefan Litt überliefert eine Schätzung, nach der Zweig rund 25 000 Briefe und Postkarten geschrieben hat. Der Editor rechnet die Post in besonderer Weise zum Werk. Er wählte 120 Korrespondenzexponate an 43 Adressaten aus. „An erster Stelle wurden solche Briefe berücksichtigt, die ausführliche Passagen über verschiedene Aspekte und Probleme des Judentums enthalten.“