Zu „Ich werde dir folgen“
Warum er? fragt Roxane ihre Schwester in der ersten Stunde nach deren Trauung. Carolina weiß sich verstanden, wenn sie erklärt: „Für einen richtig guten Mann wäre ich nicht gut genug, und Darryl ist wirklich kein schlechter Mann.“
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Darryl gehört sofort dazu; in dem heruntergekommenen Südstaaten-Kiez seines Krisen-Exils. Auf einem Parcours uferlosen Scheiterns trägt der Abstieg gerade Nevada-Farben. Darryl spürt seinem Versagen in Reno als Manager auf einem Kleinflugplatz nach, selbstverständlich ahnungslos in jeder Hinsicht.
„Darryl kannte sich nicht besonders gut aus mit der Fliegerei oder Arbeit an sich.“
Die Schwestern besuchen den Bumper. Die eine erzählt, die andere fühlt sich als Ehefrau verpflichtet, ihrem Gatten körperlich nahe zu sein. Darryl führt seine Frau und die Schwägerin aus.
Er grüßte „alle paar Schritte jemanden mit einem Kopfnicken, als gehöre ihm der Laden. Das Restaurant war dunkel und leer. Unser Kellner, ein baumlanger, magerer Junge …“
Die Erzählerin macht kein Hehl aus ihrer Abneigung. Darryls deprimierendes Dasein erscheint viel normaler als Carolinas Interesse an dem Depp. Gay hält ständig an sich, um nicht ruppiger vom Unvermögen ihres Schwagers zu erzählen. Ein Eisen im Feuer ihrer Wut ist eine Missbrauchsgeschichte, die sie mit ihrer Schwester teilt: eine doppelte, die Schwestern verschweißende Kindheitskatastrophe, die gerade in die Verlängerung geht.
Zu „Wasser, sein ganzes Gewicht“
Bianca erfüllt alle Bedingungen an eine Selbstoptimiererin nach dem aktuellen Standard. Sie luncht „zweckmäßig“, überholt sich selbst auf dem Laufband, brilliert funktionselitär als Keyboard-Warriorin. Sie ist „flink“ und fluffig und trotzdem ganz und gar Gefangene eines merkwürdigen Fluchs. Wo Bianca aufkreuzt, fängt die Welt an zu lecken.
Sie steht im Regen, während für alle anderen die Sonne scheint.
Wasserschäden folgen Bianca auf dem Fuß. In der unmittelbaren Handlungsvergangenheit hoffte sie auf Erlösung. Dean, der erste Mann ihres Entzückens, sollte das Wasserverdammnis von ihr nehmen; sie befreien mit seiner Liebe.
Zu „Das Kainsmal“
“Simplification is the ultimate sophistication.” Leonardo da Vinci
Mit dem Architekten Jacob fällt sie beim Rohbausex „in die Sterne“. Der Liebhaber begegnet der Ich-Erzählerin mit einer bekümmerten Freundlichkeit, die einen krassen Kontrast zu der druckvollen Sexualität ihres Gatten Caleb liefert.
Caleb und Jacob sind Zwillingsbrüder. Beide geben sich als Ehemänner der Erzählerin aus. Beide treten als Bettgenossen von Jacobs Freundin Cassie auf. Zuerst dachte ich, die Konstellation sei zu verstiegen. Indem ich sie mir schreibend vergegenwärtige, erkenne ich ihre Simplizität.
In „Das Schweigen der Lämmer“ erklärt Dr. Hannibal Lecter der FBI-Agentin Clarice Starling das Leben sowie die Grundlagen investigativer Interventionen.
„Oberste Prinzipien Clarice. Simplifikation… lesen Sie bei Marc Aurel nach. Bei jedem einzelnen Ding die Frage, was ist es in sich selbst? Was ist seine Natur? Was tut er, dieser Mann, den Sie suchen?“
Lecter: „Wie beginnen wir zu begehren, Clarice? Suchen wir uns Dinge zum Begehren aus? Strengen Sie sich mit allen Kräften an, jetzt eine Antwort darauf zu finden.“
Starling: „Nein. Wir können...“
Lecter: „Wir beginnen das zu begehren, was wir jeden Tag sehen.“
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Die Zwillinge wähnen sich undurchschaut. Manchmal wechseln sie mitten in der Nacht die Position. Die Erzählerin wird schwanger von ... mit ...